Grundgedanken zum Waldkindergarten

 

Was ist ein Waldkindergarten?

 

Es ist ein spielzeugfreier Kindergarten ohne Tür und Wände. Es ist die Möglichkeit für Kinder, die Natur in ihrem Jahresablauf und ständigem Wechsel zu erleben, einzelne Lebewesen von ihrer Geburt bis zum Verfall, sowie den Wald als Gesamtorganismus mit seinen vielen Wechselwirkungen kennenzulernen und sich als Mensch dazu in Beziehung zu erleben.

Natur erleben

 

Das direkte Erleben der Jahreszeiten, des Wetters und deren direkte Auswirkungen auf die Natur lassen sich aus erster Hand beobachten. Warum ist der Frühling bunt, duftend, voller Leben und Bewegung, der Winter aber still, starr und arm an Farben und Gerüchen? Wo sind die vielen Vögel und Insekten nachts? Was fressen sie? Was sind das für Spuren im Schnee? Warum verändert sich der Bach? Wer hat das Blatt, die Rinde aufgefressen? Wohin führt die Ameisenstraße? Warum ist es neblig? Was sind das für Wolkenbilder, und wie kommen sie zustande?

 

Viele Märchen, Sagen und Legenden haben den Wald als Handlungsraum. Erzählt man den Kindern den Froschkönig beispielsweise im Frühling an einem Teich, so werden sie dieses Märchen von nun an mit ruhigem Wasser, Seerosen, Libellen und Wasserläufern assoziieren. Dabei lernen sie ihre Abscheu vor Kröten oder sonstigen ‚hässlichen‘ Tieren abzubauen. Der Wald bietet aufgrund seiner Struktur ein schier unerschöpfliches Reservoir an Möglichkeiten zum Spielen, Entdecken, Lernen.

 

Kinder bewerten oft kleinste Veränderungen und hinterfragen sie, manchmal auch erst Wochen später. Der Wald ist zweckfrei, die Spielmöglichkeiten in ihm sind nicht vorgegeben. Die Kinder starten Aktionen ohne Anleitungen der Erwachsenen, besprechen Dinge im eigenen Kreis. Das kindliche Streben nach Selbständigkeit wird dadurch unterstützt. Das Kind wird erlernen, dass es sich leise in der Natur verhalten muss und dass behutsam mit ihr umgegangen werden muss.

 

 

 

Kognitives Lernen

 

Das Alter zwischen 3-6 Jahren ist ein Fragealter. Kinder lernen anders als Erwachsene, sie müssen sehen, berühren und erleben, bevor sie Erklärungen aufnehmen und verstehen können.

 

Wahrnehmung ist die Grundvoraussetzung allen Lernens. Zu frühe Erklärungen werden nicht aufgenommen oder stören das Beobachtungserlebnis. Es ist nicht wichtig, viele Pilz- oder Kräuternamen zu nennen. Viel wichtiger ist es, die Kinder zum Beobachten und Fragenstellen anzuregen und diese Fragen beantworten zu können.

 

 

 

Spracherziehung

 

Im Gegensatz zum hektischen Alltag mit seinen immerwährenden optischen und akustischen Reizüberflutungen, besonders für ein Kind, bietet der Wald Stille, Ruhe und Harmonie. Das Kind geht auf die Vorgänge in seiner Umgebung in einer anderen Weise ein. Es entspannt sich, hört in sich hinein, entwickelt ein neues Gespür für leise Töne, lernt zuzuhören. Das ist die Voraussetzung zur echten Kommunikation, eine Fähigkeit, die in der Erwachsenenwelt fast schon verlorengegangen ist. Ohne das Zuhören hört man sein Gegenüber nicht, versteht nicht, lässt sich nicht auf andere ein, bleibt innerlich alleine, hält Monologe.

 

Besonders für die ganz Kleinen ist das Einzelgespräch mit dem Erwachsenen wichtig für die Vertrauensbildung, für das soziale Sich-Zurechtfinden in einer für sie neuen Weit. Die friedliche Waldatmosphäre gibt dazu vermehrt Gelegenheit, regt an zum Gespräch, und anders als in einem vollgestellten Gruppenraum kann man hier seinen Gedanken freien Lauf lassen. Es ist außerdem für die Kinder leichter, eine Weile gedanklich aus der Gruppe herauszugehen, sich in einer 'Ecke', abseits des Geschehens zu suchen. Es kann innerlich zu sich zurückfinden, um eventuelle Konflikte zu verarbeiten und sie später besser zur Sprache zu bringen.

 

Eine regelmäßige Reflexion des täglichen Erlebens im Gruppengespräch und ein gemeinsames Gruppentagebuch sind vorgesehen.

 

 

 

Soziales Lernen

 

Ein Waldkindergarten mit seinem großen Raum für jeden hilft, dass sich Aggressionen gar nicht erst aufstauen und zu einem Stresszustand führen, sondern sich in angemessener Weise kreativ umwandeln.

 

Kinder sollten ihr Wissen und Können nicht nur im eigenen Interesse einsetzen lernen, sondern auch in Verantwortung für andere. Wenn sie emotional stabil und selbstbewusst werden, fällt es ihnen auch leichter, in Beziehung zu allen Lebewesen sensibel und solidarisch zu werden.

 

Diese Möglichkeiten ergeben sich besonders gut in einem Waldkindergarten. Darüber hinaus fördert er auch positives Verhalten in extremen Situationen. Einen schweren Ast oder Stein herbeizuschleppen, eine glitschige Böschung hinaufzukraxeln oder trockenen Fußes über den Bach zu kommen, fällt in der Gemeinschaft leichter, man hilft sich gegenseitig. In der kleinen, überschaubaren Gruppe bieten sich auch ideale Möglichkeiten, soziale Konflikte konstruktiv zu lösen. Die Kinder können aus eigener Anschauung die Notwendigkeit von Regeln erfahren, sie nachvollziehen und ihren Sinn erleben. Insgesamt gibt es jedoch weniger Regeln und Gebote. Im Wald lernen Erwachsene und Kinder. Kinder haben die besseren Bastelideen. Ober einen Baumstamm zu balancieren, fällt den Großen oft schwerer. Sie wissen auch nicht alles auf Anhieb. Dies weckt in allen ein Gefühl des partnerschaftlichen Miteinanders.

 

Das Mitgestalten des Kindergartenalltags ist im Waldkindergarten selbstverständlicher und stärkt das Selbstwertgefühl der Einzelnen und der Gruppe.

 

 

 

 

Aktivität und Funktionslust

 

Die Natur ist ein idealer Bewegungsraum für Kinder, deren erste Spiele Funktionsspiele sind.

 

Heute führen die lange Schulzeit und die vielen sitzenden Berufe oftmals zu einer Schädigung des Bewegungsapparates. Die Bewegungsfreiheit ist daher außerordentlich wichtig, denn nie mehr kann man diese so intensiv ausleben, wie in früher Kindheit.

 

Dreijährige springen nicht einmal, sondern zwanzigmal von einem Baumstamm. Doch das Bewegungsbedürfnis der Kinder nimmt nicht mit fortschreitendem Alter ab, im Gegenteil!

 

Eltern und Erzieherlinnen schenken häufig der intellektuellen Entwicklung mehr Aufmerksamkeit, als der Förderung der Motorik.

 

Der Zusammenhang von Kognition und Motorik konnte aber durch wissenschaftliche Untersuchungen abgesichert werden: Kinder, die an reinen Bewegungsförderungsprogrammen teilnahmen, erzielten auch in Intelligenztests bessere Ergebnisse (T. Kunz). Im Sich-Bewegen sehen Entwicklungstheoretiker eine wichtige "Sprachwurzel" und die Basis für das formale Denken (Piaget 1996).

 

Dadurch, dass ein Kind sich bewegt, erwirbt es die Fähigkeiten zum Laufen, Schreiben, Malen, Handwerken. Es gelangt zur motorischen, später emotionalen Sicherheit. Bewegung des Körpers bewirkt Bewegung im Kopf.

Das Kennenlernen der Welt geschieht über Tun, nicht über Denken, deshalb entwickelt sich der Mensch über seine Erwerbsmotorik, das Tier hingegen wird von. der Erwerbsmotorik geleitet.

 

Bei vielen Kindern im Alter zwischen 3 und 6 Jahren ist heute zu beobachten, dass sie normale Bewegungen in alltäglichen Situationen nicht mehr bewältigen können. Das Unfallrisiko wird größer.

 

Bei Unfällen glückt oft die Abfangbewegung der Arme nicht, es fehlt an Reaktionsschnelligkeit und die Kraft in den Armmuskeln. Auch unsicherer Laufstil und geringes Gleichgewichtsvermögen sind häufig zu beobachten. Relativ häufig wird in Deutschlands Kindergärten bei Unfällen ein Arzt benötigt. Sie ereignen sich fast alle während des Spielens beim Laufen oder Rennen.

 

(Auszug aus: Mit Bewegungsspielen gegen Unfälle- und Gesundheitsschäden bei Dreijährigen. Psychologe. Dr. Thorsten Kunz, Eigen-Unfallversicherung der Stadt Frankfurt)

 

 

 

Gesundheit

 

Zum Thema Schlechtwetter sei hier ein Zitat von Frau Sube genannt, seit 25 Jahren Walderzieherin in Wiesbaden:

"In den letzten 25 Jahren gab es bezüglich des Wetters keinen Grund, den Kindergarten nicht abzuhalten. Gewitter während der Vormittagsstunden sind äusserst selten, bei stärkeren Stürmen gehe ich mit meinen Kindern ins Jungholz, das biegt sich, da fällt nichts runter, dort spürt man kaum eine Sturmböe. Jeder anderen Witterung wie Frost und Regengüssen kann mit geeigneter Kleidung und Bewegung begegnet werden."

 

Der Aufenthalt von Kindern im Freien und im Speziellen der Besuch eines Waldkindergartens wird von vielen Medizinern befürwortet. Das Immunsystem wird gestärkt und verringert die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, der Infektionsdruck ist aufgrund der Weite des Raumes geringer. Die Bewegung in unebenem und ständig wechselndem Terrain kräftigt die Muskulatur und fördert die Körperbeherrschung.

 

Das Fehlen von Lärm und externen Reizen ermöglicht den Kindern, sich ohne Ablenkung auf eine Sache zu konzentrieren und sie eingehender zu untersuchen. Ohne die ständige Überflutung mit störenden, Stress auslösenden Faktoren sind die Kinder ausgeglichener und zufriedener.

 

 

 

Sinneserfahrungen

 

Der Wald bietet den ErzieherInnen Möglichkeiten, Intuition und Phantasie besonders anzusprechen.

 

Durch geringe räumliche Eingrenzungen erleben die Kinder innere Grenzen deutlicher und können sie leichter abbauen, wie z.B. Angstgrenzen. Dies geschieht auch über ihre Sinne. Jeder einzelne wird im Wald ständig angesprochen (eher selten nur das Schmecken). Sie ermöglichen dem Menschen das unmittelbare Erleben, welches gepaart mit den eigenen Erfahrungen durch alle Sinne, emotionale Stabilität verspricht.

 

(Maria Montessori)

Dies ist eine der besten Voraussetzungen, um später in der Gesellschaft konstruktiv und kreativ tätig zu sein.

 

 

 

Praxis

 

Der Wald bietet vielfältiges Bastelmaterial wie Holzstücke, Steine, Gräser, Blumen, Moos, Eierschalen, Bucheckern, Tannenzapfen Eicheln, Baumrinde, Federn, Kastanien, Sand, Wasser, evtl. auch Schnee  usw.

 

Grundsätzlich sind folgende Aktivitäten angeboten:

Spiele (erfinden, selbst herstellen): Rollenspiele, Kreisspiele

Figuren schnitzen

Musik: Lieder, Instrumente selbst erfinden

Werkunterricht (mit Hammer, Säge und Schnitzmesser für ältere Kinder)

Tanz

Aspekte der Erlebnispädagogik und des situationsorientierten Ansatzes

Ausflüge (Botanischer Garten, Förster, Bäcker, Feuerwehr, Neckarwiese...)

Feste (Geburtstage, Laternenumzug, Nikolaus, Weihnachten, Fasching etc.) 

 

Im Bollerwagen werden Verbandskasten, Getränke-Thermobehälter, Werkzeuge, Bücher (wie Waldführer und Märchenbuch), Wasserkanister, Notkleiderbeutel, Toilettenpapier, Isomatten, Moskitonetz und evtl. Bastelmaterial mitgeführt.

 

 

 

Stille

 

Stille ist in der heutigen Zeit ungewohnt und daher von unschätzbarem Wert, z.B. für die allgemeine Differenzierung des Wahrnehmungsvermögens, für das Finden von Stabilität durch innere Ruhe und für die Förderung der Konzentrationsfähigkeit. Gerade der Wald ist ideal, Stille zu erleben, zu lauschen und sich für feinste innere und äußere Vorgänge zu sensibilisieren.  

 

 

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